Wolfssommer (German Edition) by Rosenfeldt Hans

Autor:Rosenfeldt, Hans [Rosenfeldt, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2020-10-12T16:00:00+00:00

E r stand auf dem Hof, die Schachtel mit dem Rattengift in der einen Hand, die Autoschlüssel in der anderen. Ehe er losgegangen war, hatte er die Sache noch einmal genau durchdacht und war zu dem Schluss gekommen, dass er keine andere Wahl hatte. Als er die Garage öffnete, zögerte er dennoch. Es war ein großes Risiko, zu groß, im schlimmsten Fall würde er alles kaputt machen, aber was konnte er sonst tun? Selbst wenn er in der Stadt jemanden kennen würde, den er um Schutz bitten könnte, wäre das auch keine Alternative. Es wäre zu riskant. Die Leute, die ihm in Haparanda einfielen, waren Bekannte, keine Freunde, und er vertraute keinem von ihnen genug. Wenn er andererseits wartete, bis Sandra nach Hause kam, und sich ihr Auto lieh, würde sie fragen, was er vorhabe, und er war sich nicht sicher, ob er dann mit der Wahrheit hinter dem Berg halten konnte.

Er war so schlecht darin, sie anzulügen.

Mangelndes Training wahrscheinlich. Bisher hatte er es nie getan. Aber was er jetzt vorhatte, sollte sie nie erfahren. Was blieb ihm da für eine Wahl? Keine. Er musste es einfach wagen.

Kenneth zog das Garagentor auf. Dort stand der Volvo. Die Schäden waren umfangreicher, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Für einen kurzen Augenblick befand er sich wieder auf dem Waldweg.

An diesem Ort, zu dieser Zeit. Als sich sein Leben verändert hatte.

Es hatte sich sogar mehr verändert als damals, nach seinem Raub in Stockholm. Als er verhaftet wurde und im Gefängnis landete und seine Familie ihn verstoßen hatte. Er verdrängte den Gedanken, für Zweifel war keine Zeit. Ob er die schlimmsten Beulen und die kaputten Scheinwerfer irgendwie verbergen konnte? Er sah sich in der Garage um, doch was auch immer ihm einfiel, würde vermutlich nur noch mehr Aufmerksamkeit erregen, also warf er den kleinen Rucksack ins Auto und fuhr los.

Er wählte die kleinsten, am wenigsten befahrenen Wege zu Thomas’ Ferienhaus, die er kannte. Und ertappte sich dabei, schon wieder an seine Familie zu denken. Eigentlich vermisste er sie nicht und war nicht daran interessiert, sie wieder in sein Leben zurückzuholen. Doch in drei Jahren, wenn Sandra und er offiziell Millionäre sein würden, sollten sie es trotzdem erfahren.

Dass er seinen Weg gegangen war.

Dass ohne sie alles gut war. Besser sogar.

Dass sie geheiratet und ein phantastisches Fest gefeiert hatten, ohne sie einzuladen, und dass Rita und Stefan nie ihre süßen Kinder kennenlernen würden, nie eine Bedeutung im Leben der Enkel haben würden. Stattdessen würden die Kinder Hannah und Thomas Oma und Opa nennen.

Doch vorher war er gezwungen, sich aus dem Schlamassel zu befreien, das er sich eingebrockt hatte. Das ihm UW eingebrockt hatte , korrigierte er sich, als er an den Rand des schmalen Kieswegs fuhr und den Motor abstellte. Er war noch ein gutes Stück vom Ferienhaus entfernt, wagte es aber nicht, näher heranzufahren. Man konnte nie wissen, ob Thomas da war.

Mit schnellen Schritten setzte er sich in Bewegung. Fünfzig Meter vor dem Haus bog er ab. Die Mücken umschwärmten ihn, sobald er in die schattige, windstille Vegetation trat, und er verscheuchte sie, so gut es ging.

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